Zelle im Landesgericht Wien, in der Renner inhaftiert war Renners Interview Postkarte Schärfs an Renner aus dem Lager Wöllersdorf Renners Brief an Prälat Pauker
Zelle im Wiener Landesgericht
Postkarte Schärfs aus dem Lager Wöllersdorf an Renner
Renners Interview
Renners Brief an Prälat Pauker
Dr. Karl Renner - Museum für Zeitgeschichte, Rennergasse 2, 2640 Gloggnitz - Mail: office@rennermuseum.at - Tel: 02662/42498   Dr. Karl Renner - Museum für Zeitgeschichte, Rennergasse 2, 2640 Gloggnitz - Mail: office@rennermuseum.at - Tel: 02662/42498
(Soweit nicht anders angegeben, stammen die Fotos/Kopien aus dem Renner-Archiv)
Das „Anschluss“-Ja Historischer Irrtum und biografischer Schatten Die Nationalitätenkonflikte waren im Vielvölkerreich der Habsburger ständige Begleiter der Politik und des gesellschaftlichen Lebens. Von Staats wegen wurde „Nation“ als Sprachnation interpretiert, ohne je endgültig befriedigende und befriedende Lösungen zu finden. So hatte auch die junge Republik bei ihrer Staatswerdung mit dem Nationsbegriff ihre großen Schwierigkeiten und litt an einer „nationalen“ Identitätskrise. Kein Gründungsmythos und keine „Großtat“ standen am Anfang. Gefühle der Niederlage und des Übrigbleibens überwogen bald Erleichterung und Freude über das Kriegsende. Chaotische Zustände durch den Zerfall der Armee, eine katastrophale Wirtschaftslage und politische Spannungen begleiteten die Gründung. Instabilität und enormer Druck lasteten auf allen Lebensbereichen der Menschen. Bereits bei der Namensfindung sollte der Name „Österreich“ vermieden werden. Für die einen war er zu sehr mit dem verhassten Herrscherhaus und dem Krieg verbunden. Für die anderen schien dieser deutschsprachige „Rest“ in der Logik nationaler Vorstellungen zwingend Teil des deutschen Nationalstaats zu sein. Karl Renner hingegen wollte damit vor den Siegermächten klarlegen, dass die Republik nicht die Rechtsnachfolgerin der Monarchie sei. Schließlich setzte sich als Kompromiss der Name „Deutschösterreich“ durch. Der Name sollte auch die gesamtdeutsche Vereinigung vorbereiten. Überhaupt war die ideologische Vorstellung sprachlich-kulturell „homogener“ Nationalstaaten weit verbreitet. Massenhafte Gewalterlebnisse im Krieg und die aggressive Feindbildzeichnung der Kriegspropaganda hatten diese noch verstärkt. Die „Nation“ wurde in den Zeiten der Krise und des Verschwindens traditioneller Hierarchien für viele Menschen endgültig zum höchsten Bezugspunkt politischer Orientierung. Die gesamtdeutschen Vorstellungen der Jahre 1918/1919 konnten sowohl auf demokratischen, kulturromantischen oder wirtschaftspolitischen als auch auf völkisch- rassistischen Motiven fußen. Karl Renner sah sich in einer marxistischen Denktradition stehend und verband seine politischen Betrachtungen stets mit Fragen der Ökonomie. Für ihn war der Weltkrieg eine unvermeidliche Epochenwende. Der Krieg führe zur „Durchstaatlichung der Wirtschaft“ sowie zur „Verwirtschaftung der Staatsgewalt“ und sei somit eine Vorbereitung für den Sozialismus. Dies hielt er für die wirtschaftliche Basis eines anzustrebenden friedlichen Weltstaats. Den Weg zu diesem „Weltstaat“ sah er bis Oktober 1918 besser im Erhalt eines demokratisierten Vielvölkerreichs oder einer Donauföderation – der „österreichischen Ökumene“ – gewährleistet. Diese Vorstellung scheiterte im raschen Zerfall des Habsburgerreichs. Nun wurde für ihn die „deutsche Ökumene” adäquate Alternative, da er „Kleinstaaterei und Zwergenwirtschaft“ ablehnte. Als 1919 im Zuge der Friedensverhandlungen klar wurde, dass die Republik Österreich zur unabänderlichen „Unabhängigkeit“ verpflichtet werden würde, sorgte das für massenhafte Empörung, Enttäuschung und Zukunftsangst. Karl Renner empfand diesen Zwang zur Kleinstaaterei als schwere Hypothek auf den republikanischen Neuanfang und als schweren politischen Fehler; dennoch meinte er, sei unser „Staatswesen zu nehmen, wie es ist, und ihm liebend zu dienen“. Die „Anschlussfrage“ blieb mit wechselnder Intensität ständige Begleiterin der Ersten Republik. Der österreichische Nationsbegriff war eine Randerscheinung. Als der junge österreichische Staat schließlich 1938 durch den Einmarsch deutscher Truppen im nationalsozialistischen Deutschland auf- bzw. unterging, sprach sich Renner für den „Anschluss“ aus. Die Beweggründe für dieses verhängnisvolle „Ja“ mögen vielseitig gewesen sein: Angst um Parteifreund:innen und Verwandte, wie seinen jüdischen Schwiegersohn Hans Deutsch? Furcht vor weiterer Verfolgung im Schatten einer noch im März 1938 erfolgten Aufsuchung Renners durch die Gestapo? Renner selbst hingegen betonte stets, ohne Zwang und aus Überzeugung gehandelt zu haben. In einem Artikel in der britischen Zeitschrift „World Review“ im Mai 1938 argumentierte er, dass sich jetzt nur vollziehe, was in Saint-Germain-en-Laye illegitimerweise durch die Siegermächte verhindert worden sei. Es sei schlimm für ihn, dass dies unter den diktatorischen Vorzeichen eines schrecklichen „unfassbaren Rassenregimes“ und nicht unter demokratischen Vorzeichen geschehe. Renner meinte jedoch, das Zerstörungspotenzial des Nationalsozialismus unterschätzend: „Staaten bleiben, aber Systeme wechseln.“ Seinem Denken in Wirtschaftsgroßräumen und den ursprünglichen Vorstellungen der Grenzen des Staatsgebietes der Republik Deutschösterreich von 1918/19 folgend, würdigte er in einer unveröffentlichten sehr problematischen Broschüre ebenso das von Großbritannien und Frankreich unterzeichnete Münchner Abkommen vom September 1938 als richtigen Schritt. Sein Anschluss-Ja wirkte auf den österreichischen Widerstand demoralisierend und bleibt ein historischer Irrtum und ein biografischer Schatten. Vom Nationalsozialismus und seinen Methoden distanzierte er sich stets eindeutig und öffentlich – auch nach dem „Anschluss“. Bereits 1932 schrieb er in einem analytischen Text zur drohenden Machtergreifung Adolf Hitlers über den Nationalsozialismus, dass er „die kritiklose Vergottung des Führertums, die ideenlose Kultur brutaler Gewalt, die offen zur Schau getragene Verachtung der Wissenschaft, die Verhimmelung des ,Blutes‛ und der ,Rasse‛, die Anbetung des Krieges und die gläubige Erwartung eines Kriegswunders“ sei. Und Renner schrieb: „[Diese] gesamte Vernebelung der Gehirne ist eine ungeheure Gefahr für die Nation [= deutsche, Anm. MR] und droht im Ernstfalle der Untergang. Darum gilt es, das Hitlertum nicht nur politisch einzudämmen, sondern auch geistig zu überwinden.“ (Karl Renner: „Die Novemberverbrecher?“, 1932) In dieser Analyse attackierte er den Nationalsozialismus ebenfalls für seinen exkludierenden „Nationsbegriff“ des „Herrentums“, der u. a. jüdische Mitbürger:innen systematisch ausschloss. In der inneren Emigration in Gloggnitz während der nationalsozialistischen Herrschaft wurde für Renner die Wiedererrichtung einer „kleinstaatlichen“ und unabhängigen Republik Österreich das wichtigste Ziel. So konnte er im April 1945 schließlich die federführende Rolle als „Pater patriae“ (Anton Pelinka, 1989) bei der erfolgreichen Gründung der Zweiten Republik übernehmen. Seine Biografie und sein politisches Wirken stellten 1945 ein eigentümliches österreichisches Kontinuum dar, das sich mit all den Brüchen und Widersprüchen als Basis für einen Neuanfang darbot.
Dr. Karl Renner - Museum für Zeitgeschichte Gloggnitz